Außenminister Schallenberg und die Mozartkugel-Diplomatie

von Birol Kilic, Beobachtungen und Analysen aus Wien, Juli 2024

Neue Heimat Zeitung ( Yeni Vatan Gazetesi), Ausgabe Juli 2024, Printausgabe

Übersetzung aus dem Türkischen ( Juli 2024 Ausgabe)

Neue Heimat Zeitung Ausgabe Juli 2024
Neue Heimat Zeitung Ausgabe Juli 2024

 

Der österreichische Außenminister Schallenberg, der im Mai 2024 in Ankara hochrangige Gespräche führte, das berühmte Grabmal Atatürks besuchte und einen Kranz niederlegte, schaffte es auch auf die Titelseite der „Neue Heimat Zeitung“. Mit der Schlagzeile „Besiegelt“ und dem Untertitel „Vor 100 Jahren, 1924, wurde unsere Freundschaft mit der Türkei durch einen Freundschaftsvertrag besiegelt“. ( siehe unten)

 

Neue Heimat Zeitung Ausgabe Mai 2024
Neue Heimat Zeitung Ausgabe Mai 2024
Neue Heimat Zeitung Ausgabe Mai 2024

 

Unmittelbar nach dem Besuch in Ankara ( siehe oben Neue Heimat Zeitung Mai 2024 Ausgabe), lud Außenminister Schallenberg den renommierten „Verband der Auslandspresse in Wien“ zu einem besonderen Pressegespräch ins Außenministerium, an dem auch die Neue Heimat Zeitung ( Yeni Vatan Gazetesi ) als Mitglied teilnahm.

Was mir nach diesem Treffen im Gedächtnis geblieben ist, sind folgende Worte des österreichischen Außenministers Schallenberg: „Nach der Pandemie und dem Ukraine-Russland-Krieg hat Österreich einige wichtige Werte wiederentdeckt: „Zum Beispiel die Mozartkugel…“.

Diplomatie mit mehr Mozart-Kugeln

Um unseren türkischsprachigen Leserinnen und Lesern im Inland und Ausland das Thema besser zu vermitteln, möchten wir darauf hinweisen, dass die Mozartkugel laut Angaben der Produzenten aus einer Kombination von Schokolade, Pistazien, Marzipan und Nougat besteht. Laut eigenen Angaben wurde sie 1890 vom Salzburger Konditor Paul Fürst kreiert und nach dem fast 100 Jahre zuvor verstorbenen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart benannt.

Eingang zum Haus Am Hof 11 mit der Türkenkugel und der Gedenktafel. Türkenkugel am Generali-Haus (1, Am Hof 11)

Wie wurde aus „Mozart-Bonbon” auf einmal „Mozart-Kugel”?

Der ursprüngliche Name war offenbar „Mozart-Bonbon”.. Ich würde gerne mehr darüber erfahren, wie der ursprüngliche Name von „Mozart-Bonbon” auf die „Mozart-Kugel” übertragen wurde. Es wäre interessant zu erfahren, inwiefern Mozart mit Kugel in Verbindung gebracht werden kann. Außer der Tatsache, dass Mozart damals eine große Sympathie gegenüber Türken hegte, könnte auch der Einfluss von Mozarts Oper mit ihren orientalischen Motiven auf den Geschmack der Zeit eine Rolle spielen. Diese Oper wurde zu einem Publikumshit. Es gibt durchaus Möglichkeiten, dies zu überprüfen. Ein Beispiel ist:  „die Sonate Nr. 11 A-Dur KV 331 (300i), eine der bekanntesten Klaviersonaten von Wolfgang Amadeus Mozart. Dabei handelt es sich um ein als Türkischer Marsch bekannt gewordenes und mit Alla Turca überschriebenes Allegretto in Rondoform“. In der Mozartkugel steht das Wort Kugel auch für eine militärische Kanone. In Wien sieht man überall Türkenkugeln. Das sind echte Militärkanonen aus dem Jahr 1683, aber Mozartkugeln sind Pralinen. Spaß beiseite. Ein ideales Mitbringsel, wenn man in die Türkei fliegt oder aus der Türkei nach Österreich kommt.

Die Symbolik der Mozartkugel geht über die reine Konsumation einer Süßigkeit hinaus. Die Mozartkugel symbolisiert eine Atmosphäre des Friedens sowie ein größeres Maß an gegenseitigem Verständnis. Diese Haltung ist erforderlich, um Brücken zu bauen, insbesondere zu Ländern mit einer vergleichsweise geringen Größe wie Österreich, das jedoch über eine bedeutende Vergangenheit und ein beachtliches Know-how verfügt. Die aktuellen Herausforderungen, die aus den Flüchtlingsströmen aus dem Nahen Osten resultieren, sind auch in Wien als erste sehr schnell spürbar. Dazu kommen der Ukraine-Russland-Konflikt, das heute gute, aber nicht einfache Verhältnis zur Türkei sowie die Beziehungen zu den Balkanländern. In Anbetracht dieser Erfahrungen erscheint eine „Mozartkugel-Diplomatie” als vielversprechender Ansatz.

Mozartkugel versus Türkischer Kaffee?

 


Hier, wie im Bild im Wiener Büro der Neuen Heimat Zeitung, wird den Gästen immer noch „Türkischer Kaffee“ oder „Melange“ serviert. Jetzt mit Mozartkugel statt Lokum.

Wenn Österreich seine Diplomatie in Zukunft tatsächlich mit mehr „Mozortkugel Diplomatie“ fortsetzen wird, sollte die Türkei vielleicht schon längst mit der „Türkischen Kaffe Diplomatie“ begonnen haben. Darüber habe ich im Jahre 1998 einen Artikel mit dem Titel „Das Österreichbild in der Türkei“ für den „Bundeskanzleramt-Bundespressedienst-Austrian Feature“ geschrieben, der sogar in Deutsch und Englisch gedruckt in den österreichischen Botschaften in der Welt kostenlos verteilt wurde. Der Artikel beginnt wie folgt:
        „Eine Tasse Kaffee gewinnt das Herz für vierzig Jahre“ ( Bir fincan kahvenin kırk yıl hatırı vardır), sagt ein türkisches Sprichwort. Menschen zu verstehen beginnt mit gutem Zuhören und wo kann man besser reden als bei einer dampfenden Tasse Kaffee. Wer mich zu einer Tasse Kaffee einlädt, nimmt sich Zeit für mich. Das ist das Besondere am österreichischen Kaffeehaus und natürlich auch am türkischen.In der Innenstadt von Istanbul gibt es ein originalgetreu nachgebautes Wiener Kaffeehaus mit echtem Wiener Kaffee und frischen Wiener Mehlspeisen. Zum Milchkaffee sagen die trendbewussten jungen Türken schon allgemein „Melange”. Der Wiener Kaffee ist in seine Heimat zurückgekehrt. Die Türken fühlen sich der österreichischen Mentalität sehr verbunden. Fleiß, Ehrlichkeit und Höflichkeit sind gemeinsame Tugenden, vor allem letztere unterscheidet die Österreicher in den Augen der Türken wohltuend von den „trockeneren” Deutschen. Die Österreicher werden als geduldig, flexibel und sensibel, traditions- und kulturbewusst charakterisiert.“

„Friede in der Heimat, Friede in der Welt …

Die Abkehr von Atatürks außenpolitischer Staatsräson, die unter anderem durch den Slogan „Friede im Vaterland, Friede in der Welt …” zum Ausdruck kam, hat sowohl im Inland als auch im Ausland zu einer Reihe von Desastern geführt. Derzeit wird versucht, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren, wobei sich jedoch zeigt, dass es deutlich schwieriger und langwieriger ist, Korrekturen in der Außenpolitik vorzunehmen als in der Innenpolitik. Ein möglicher Ansatz, um wieder mehr Vertrauen in die türkische Außenpolitik zu gewinnen, könnte in einer verstärkten „türkischen Kaffeekultur Diplomatie” liegen, die unbedingt aber Transparenz und Offenheit zeigen muss.

Schallenberg 2005

Der Außenminister meinte aber eigentlich noch wichtiger, dass der Westen, insbesondere die EU, den anderen Ländern nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe und mit mehr Empathie und Diplomatie begegnen sollte. Krieg und Pandemie hätten alle erschöpft. Ihn auch. Wir kennen den heutigen Außenminister Schallenberg schon sehr lange, als er noch ein junger, adlerbeobachtender, stets umsichtiger und vorsichtiger Pressesprecher der damaligen Spitzendiplomaten Außenministerin Ursula Plasnik und dann vom  Außenminister Michael Spindelegger.

Man sieht schon, dass die Pandemie und der Krieg bei ihm Spuren hinterlassen haben und vor allem die letzten fünf Jahre Regierungserfahrung eine unglaubliche Lebenserfahrung mit Höhen und Tiefen gebracht haben… Vor drei, vier Jahren, vor dem Krieg in der Ukraine, waren wir auch bei ihm zu Gast… Da hat Außenminister Schallenberg ganz anders gewirkt...Heute steht ein sehr besonnener, erfahrener, hochintelligenter, umsichtiger  Diplomat vor uns…

Links: Alexander Schallenberg als Pressesprecher der damaligen Außenministerin Ursula Plassnik 2005 bei einem Treffen mit dem Verband der Auslandspresse in Wien mit Birol Kilic.
Links: Alexander Schallenberg als Pressesprecher der damaligen Außenministerin Ursula Plassnik 2005 bei einem Treffen mit dem Verband der Auslandspresse in Wien mit Birol Kilic

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Eine schöne Botschaft

Vor dem Spiel zwischen der Türkei und Österreich hat Außenminister Schallenberg am 1. Juli im Außenministerium bei einem Treffen mit Vertretern der internationalen Presse gesagt, dass er sich auf das Spiel freue und, dass er das Spiel in der Brunnengasse, wo viele Austro-türkische Einwanderer seit 1960 leben, und am nächsten Tag mit seinen Freunden am Yppenplatz in Wien unter freiem Himmel verfolgen werde. Das war natürlich eine schöne Botschaft.

Nach seinem Briefing zu verschiedenen aktuellen Themen beantwortete Außenminister Schallenberg Fragen der internationalen Presse und von uns zu seinem jüngsten Besuch in der Türkei, der Ukraine, der EU, Syrien und den Flüchtlingen.

Vor der internationalen Presse betonte Außenminister Schallenberg, dass er in den nächsten Tagen Griechenland und Zypern besuchen werde, da beide Länder wie Österreich von irregulären Migrationsströmen und Flüchtlingen aus Syrien betroffen sind. Er war bereits in beiden Ländern.

Wird die EU mindestens die direkte Kommunikation mit Syrien suchen?

Unsere Frage ist, „ob es für Österreich oder die EU besser wäre, direkt mit Syrien über die Syrienfrage und Lösungen zu sprechen, damit auch Österreich direkt davon profitieren kann, denn die Türkei ist von der Migration stärker betroffen als Griechenland und Zypern. Präsident Erdoğan hat vorgestern eine sehr positive Botschaft an Syrien gesandt, nachdem Präsident Assad bereits seine Bereitschaft zu Gesprächen mit der Türkei bekundet hatte. Könnte das Problem der illegalen Migrationsströme aus Syrien und der Migranten in Syrien durch direkte Kontakte der EU und der Türkei mit Syrien gelöst werden? Sind Sie in Österreich und in weiterer Folge in der EU der Meinung, dass hier eine Kommunikation stattfinden sollte? Der Innenminister der Republik Österreich, Herr Karner, will laut österreichischen Presseberichten z.B. die illegalen Migranten aus Syrien nach Syrien zurückschicken, weil der Krieg dort in vielen Bereichen bereits „beendet ist“. Dies wurde von dem Außenminister wie folgt beantwortet:

„Die Türkei spielt hier eine sehr wichtige Rolle und eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei ist für die Bewältigung der gemeinsamen Herausforderungen in einer immer komplexer werdenden Region unerlässlich. Insbesondere in sicherheits- und migrationspolitischen Fragen ist die Türkei für Österreich von zentraler Bedeutung“, so unterstrich Außenminister Schallenberg die konstruktive Atmosphäre, in der auch schwierige Themen offen angesprochen werden können. Zu Syrien: „Ich spreche nicht von der Aufhebung der Sanktionen, ich spreche davon, dass wir zuerst direkt mit Assad kommunizieren müssen. Wir können Assad nicht ersetzen. Österreich ist der erste Rechtsstaat in der EU, der die Folgen dessen zu spüren bekommt, was im Libanon und in Syrien passiert. Als Rechtsstaat spüren wir in Wien am schnellsten und am stärksten, was im Nahen Osten passiert. Wir tragen eine historische Verantwortung. Wir wollen eine Lösung und Frieden in diesen Regionen. Vielleicht hören Sie in den nächsten Wochen von uns wichtige Schritte zu Syrien“.

Nur 25 Prozent der Schengen-Grenzen polizeilich oder militärisch kontrolliert

„Wir wollen nicht zurück in die Situation von vor drei, vier oder zehn Jahren, wo wir so viele irreguläre Migrationsströme über Österreich hatten“, sagte Schallenberg und fuhr fort „Wir haben 112.000 irreguläre Migranten aus unseren Nachbarländern, 75.000 davon sind in den Ländern, wo sie nach Österreich kommen, also in unseren Nachbarländern, nicht registriert, sie bekommen kein Asyl, sondern halten sich auf unterschiedliche Weise in Österreich auf. Hier sind wir auf die Hilfe unserer Nachbarn angewiesen. Das ist der Grund, warum wir im Schengen-Raum ein Veto gegen Rumänien und Bulgarien eingelegt haben. Denn die Migrationsströme aus diesen Ländern kommen durch unser Veto außerhalb der EU aus dem Schengen-Raum zu uns. Wir haben in Österreich große Probleme mit irregulären Migrationsströmen. Wir sind der erste demokratische Rechtsstaat in der EU, der den Menschen aus diesen Ländern das Kommen und Bleiben ermöglichen will. Heute werden nur 25 Prozent der Schengen-Grenzen polizeilich oder militärisch kontrolliert, wie etwa in Frankreich“.

Russland  versus Ukraine

Schallenberg erklärte: „Inmitten des andauernden Angriffskriegs Putins gegen die Ukraine und der Komplexität des Nahost-Konflikts ist das Engagement der Türkei für den Dialog und ihre Vermittlerfunktion von besonderem Wert. Meine Reise steht somit ganz im Zeichen der Realpolitik. Putin aber kann den Krieg beenden, er muss nicht einmal seinem Volk erklären, warum er den Krieg beendet. Aber wenn die Ukraine morgen den Krieg beendet, dann hört die Ukraine morgen auf zu existieren. Wir müssen die Entscheidung der Ukraine respektieren. Solange sie nicht aufgibt, müssen wir die Ukraine unterstützen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Ukraine und Russland Nachbarn bleiben. Russland wird nicht verschwinden, auch nicht aus der OSZE. Das sage ich als jemand, der bis in die Knochen Transatlantiker ist.“ Und er fügt hinzu: „Ich höre sehr gerne klassische russische Musik wie Tschaikowsky oder andere. Wir sollten als Westen in vielen Dingen nicht immer belehrend und moralisierend sein“.

„Menschenhändler“ sollten wie „Drogenhändler“ behandelt werden

„Wir müssen Menschenhändler wie Drogenhändler behandeln. Sie verdienen Geld auf Kosten armer Menschen und demokratischer Staaten. Wir brauchen legale Migration, keine illegalen Migrationsströme mit Menschenhandel“, sagte Schallenberg, “es ist nicht gut, zu emotional zu sein. Schengen sei wie ein Haus, und alle Außentüren müssten sicher und verlässlich sein. Das sei derzeit nicht der Fall.

Aus dem Paradies vertrieben

Schallenberg, der die meiste Erfahrung in der ÖVP-Grünen Regierungskoalition hat, sprach über die Erfahrungen Österreichs, insbesondere nach der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine: „Nach der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine fühlen wir uns in Österreich wie aus dem Paradies vertrieben. So viel hat sich verändert. Um diese moralische Unsicherheit und diese Probleme loszuwerden, muss sich der Westen intellektuell und philosophisch mit diesen Problemen auseinandersetzen und seine Beziehungen zu anderen Ländern neu überdenken, nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe, mit viel Empathie“.

Außenminister Schallenberg bedankte sich bei der „Neue Heimat Zeitung“, als wir ihm ein Exemplar überreichten, in dem auch über den Besuch in Ankara an unsere LeserInnen berichtet wurde, und lässt alle LeserInnen freundlich grüßen. (Übersetzung aus dem Türkischen, Neu Heimat Zeitung, Titel, Türkisch, Juli 2024, von Birol Kilic Beobachtungen und Analysen aus Wien)

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