„Man kann auch ohne Glauben die Bedeutung der Familie verstehen: Mit der Vernunft“

Dr. Gudrun Kugler stand in den Räumlichkeiten der „Neue Heimat Zeitung" Rede und Antwort. Sie ist Nationalratsabgeordnete, Bereichssprecherin der ÖVP für Menschenrechte und Vizepräsidentin der parlamentarischen Versammlung der OSZE.

WIEN. Gudrun Kugler kandidiert bei den bevorstehenden Nationalratswahlen als Spitzenkandidatin der ÖVP in den Bezirken Wien Nord, Floridsdorf und Donaustadt. Darüber hinaus tritt sie in ganz Wien auf Platz 5 der Landesliste an und freut sich, wie alle Kandidatinnen und Kandidaten, über Vorzugsstimmen. Kugler antwortet auf die für unsere Leserinnen und Leser interessante Frage „Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie eine „christliche Familienpolitik“?“ wie folgt: „Viele Religionen sehen in der Familie die wichtigste Keimzelle der Gesellschaft, die es zu fördern und zu unterstützen gilt, damit Kinder gut aufwachsen und die Gesellschaft keinen Schaden nimmt. Ich glaube aber, dass man die Bedeutung der Familie  auch ohne Glauben verstehen und unterstützen kann – mit der Vernunft.“

Wer sie ist, was sie denkt, und welche Perspektiven sie hat, erzählte sie uns im Gespräch.

von Birol Kilic und Stefan Beig

Neue Heimat Zeitung (Yeni Vatan Gazetesi): Herzlich willkommen. Gleich eine spontane Frage. In Österreich leben über 350.000 Menschen aus der Türkei. 200.000 davon haben die österreichische Staatsbürgerschaft und leben bereits in der vierten Generation in Österreich. Sie sind österreichische Staatsbürger:innen, integriert, nehmen am Leben hier teil und lieben Österreich. Sie, Frau Kugler, kommen aus der schönen oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz. Hatten Sie schon einmal mit der Türkei oder mit Austro-Türk:innen zu tun?


Gudrun Kugler:
Ich war immer mit türkischstämmigen Menschen in Österreich befreundet und sehe, wie viel sie in Österreich leisten. Dafür muss man Danke sagen! An meinem ersten Studientag an der Theologischen Hochschule in Trumau lernte ich Ebru kennen, eine junge Türkin, die dort erfolgreich das Sekretariat leitete. Ohne sie ging dort nichts mehr, denn sie hat viel Organisationstalent und Fleiß bewiesen. Das hat mir sehr gefallen. Wir haben uns sofort angefreundet und im Laufe der Jahre viel gemeinsam unternommen. Kürzlich war ich mit der OSZE im Südosten der Türkei, um Erdbebenopfer, Flüchtlinge und Politiker zu treffen. Der Zusammenhalt der Menschen und die Unterstützung der Politik waren sehr beeindruckend. Istanbul ist eine faszinierende Stadt, in der das Leben pulsiert.

Bevor Sie Landtags- und später Nationalratsabgeordnete wurden, haben Sie laut Ihrem Lebenslauf unter anderem eine katholische Eheplattform gegründet und sich für den Lebensschutz eingesetzt. Das ist sehr interessant. Unsere Frage an Sie wie auch an andere Politikerinnen und Politiker lautet: Spielen Religion und religiöse Anliegen für Sie auch in der Politik eine Rolle? Warum sind Sie in die Politik gegangen?

Kugler: Meine Motivation ist die Welt ein bisschen besser zu machen. Ich möchte, dass etwas von meinem Leben bleibt. Mein größtes Talent ist es, dranzubleiben und auch schwierige und komplexe Dinge voranzubringen. Ich glaube, das ist in der Politik unerlässlich. Natürlich prägt mein Glaube mein ganzes Leben. Glaube ist für mich nicht nur etwas für die Feiertage! Gleichzeitig leben wir in einer pluralistischen Gesellschaft und sind der österreichischen Verfassung verpflichtet. Das ist kein Widerspruch. Der christliche Glaube sagt, dass wir eine von Gott geschaffene Vernunft haben, die nach Gottes Willen auch die Quelle unserer Entscheidungen ist. In meiner politischen Arbeit sehe ich keinen Widerspruch zwischen Glaube und Vernunft. Im Gegensatz dazu steht natürlich ein politisierter Glaube, der die Religion für politische Zwecke missbraucht.

Sie sind Mutter von vier Kindern im Alter von 10 bis 18 Jahren, Abgeordnete und haben internationale Funktionen, unter anderem bei der OSZE. Wie schaffen Sie das alles? Unter unseren Leserinnen gibt es viele Mütter im Berufsleben. Wir wissen, dass das nicht einfach ist, manchmal braucht man Tipps.

Kugler: Ich arbeite schnell, effizient und diszipliniert und schränke meine Freizeit stark ein. Mein Mann unterstützt mich sehr und unsere Kinder sind selbständig, patent und hilfsbereit. Wir haben ihnen immer viel Liebe und Geborgenheit gegeben, viel mit ihnen geredet, immer alles erklärt und sie dazu erzogen, alles selbst zu machen. Meine Familie ist für mich Heimat, Zuflucht, Abenteuer, fester Boden, auf dem ich stehe, aber auch Lernort, Kratzbaum, Therapieort und Persönlichkeitstrainer. Sie ist Freundeskreis, Fest und Quelle der Freude mit so unterschiedlichen und auf ihre Weise großartigen Menschen. Wenn Sie mir gestatten, kann ich das kurz zusammenfassen. Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. Deshalb steht sie auch im Mittelpunkt unserer Politik und des Wahlprogramms der Volkspartei. Wir konnten viel für die Familien durchsetzen, wie den Familienbonus, die automatische Inflationsanpassung der Familienleistungen und vieles mehr.

Das ist für unsere Leserinnen und Leser interessant zu erfahren, weil es neu ist. Gibt es aus Ihrer Sicht so etwas wie eine „christliche Familienpolitik“?

Kugler: Viele Religionen sehen in der Familie die wichtigste Keimzelle der Gesellschaft, die es zu fördern und zu unterstützen gilt, damit Kinder gut aufwachsen und die Gesellschaft keinen Schaden nimmt. Ich glaube aber, dass man die Bedeutung der Familie  auch ohne Glauben verstehen und unterstützen kann  – mit der Vernunft. Meistens werden Ehe, Familie und Kinder aber gerade von denen hochgehalten, die Respekt vor der Religion haben.

„Aus Vernunft“, das gilt eigentlich für alle und verbindet uns alle. Sie haben auch gesellschaftspolitische Tendenzen kritisiert. Wie beurteilen Sie die Rolle der Gender-Ideologie Stichwort LGBTQIA+ , die an Einfluss gewinnt? Einige betreiben Lobbying dafür, was auch Kritik hervorruft.

Kugler: Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein Grundwert unserer Gesellschaft. Die Gender-Ideologie stellt das Konzept der Geschlechter in Frage und stört damit – wie jede Ideologie – das friedliche Zusammenleben, weil sie die Realität in ihre engen ideologischen Vorgaben pressen will. Mann und Frau sind keine sozial konstruierte Realität und daher nicht frei wählbar. Genauso wenig gibt es beliebig viele Geschlechter zur Auswahl. Wer dies propagiert, macht sich vor allem an Kindern und Jugendlichen schuldig. In anderen Ländern bekommen Jugendliche Pubertätsblocker oder werden sogar operiert, um ihr Geschlecht zu ändern zu lassen. In Österreich sind wir hier sehr restriktiv.

Sie waren eine der Initiatorinnen des Gebetsfrühstücks im Parlament. Interessant. Brauchen wir heute so etwas im Parlament? Was war Ihre Motivation?

Kugler: Das Gebetsfrühstück im österreichischen Parlament ist eine überkonfessionelle und überparteiliche Initiative, die es Politikern ermöglicht, sich auf das Verbindende zu konzentrieren und gemeinsam Gott um seinen Segen für unser Land zu bitten. Abgeordnete aller Parteien nehmen daran ebenso teil wie Gäste aus allen Religionen und Konfessionen Österreichs. Ich erlebe es als Bereicherung für unser parlamentarisches Miteinander. Die Tradition des Parlamentarischen Gebetsfrühstücks entstand vor mehr als 60 Jahren in den USA, wo es zu einem Fixpunkt für alle Präsidenten – Demokraten wie Republikaner – wurde. Mittlerweile ist es auch in Europa weit verbreitet. Regelmäßige Treffen finden zum Beispiel in Berlin, London, Brüssel, Kiew, Jerusalem und vielen anderen Hauptstädten statt.

Nach dieser Antwort dürfen wir nun fragen: Was bedeutet Säkularismus für Sie?

Kugler: Da muss man zwei Dinge unterscheiden: Einerseits gibt es eine sinnvolle Trennung von Kirche und Staat bzw. Politik und Religion, die für eine pluralistische Gesellschaft absolut notwendig ist. Auf der anderen Seite wächst im Westen derzeit die dazu völlig konträre Ideologie des Säkularismus, die jegliche Präsenz von Religion und den Einfluss gläubiger Menschen aus dem öffentlichen Raum verbannen will. In der Regel funktioniert eine Gesellschaft besser, wenn religiöse Menschen ein Land mitgestalten. Ich finde es schade, dass das Christentum in Europa immer schwächer wird, denn unser Kontinent lebt vom großen Erbe des christlichen Glaubens.

Sie sprechen in Ihrem Interview oft von einer Diskriminierung der Christen in Europa. Ist das nicht übertrieben?

Kugler: Viele Christen fühlen sich in ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung durch eine um sich greifende „Kultur der Verleugnung“ und ideologische Bevormundung eingeschränkt. Manche fühlen sich in ethischen Fragen in ihrer Gewissensfreiheit eingeschränkt, etwa wenn Ärzte an Abtreibungen oder Selbsttötungen mitwirken sollen. Meine Grundüberzeugung ist: Ohne Freiheit kann man seinen Glauben nicht leben. Auch deshalb sind mir Toleranz und Religionsfreiheit so wichtig.

Gudrun Kugler stand der Neue Heimat Zeitung Rede und Antwort.

Sie sind Vorsitzende der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Österreich-Serbien. Wir haben gute Austro-Serbinnen und Serben als Freunde in Österreich. Woher kommt diese Verbundenheit mit der serbischen Volksgruppe?

Kugler: Im österreichischen Parlament gibt es sogenannte bilaterale Freundschaftsgruppen. Ich bin für Serbien zuständig. Für Österreich war der Balkan schon immer wichtig. Heute verstehen wir uns in der Europäischen Union als Anwalt dieser Länder. Wien kann auch bei Konflikten am Balkan vermitteln und ein Ort des Dialogs sein. Viele Menschen in Österreich haben serbische Wurzeln. Für Integration und ein gutes Zusammenleben ist es wichtig, diese Menschen wahrzunehmen und ihre Kultur zu respektieren.

Was ist für Sie gelungene Integration? Was sind die größten Herausforderungen?

Kugler: Integration heißt: Sprache lernen, Arbeit haben und Teil dieser Gesellschaft werden. Die eigene Kultur, die Liebe zum Herkunftsland und die Religion muss man nicht aufgeben, aber man muss die Regeln des neuen Landes akzeptieren und sich an die Gesetze und Werte des neuen Landes anpassen, anstatt sie ändern zu wollen. So respektiert man das Gastland. Nationalismus – von welcher Seite auch immer – untergräbt die gegenseitige Wertschätzung und zerstört die Gemeinschaft.

Im Jahr 2022 haben 112.272 Menschen in Österreich um Asyl angesucht. Das ist die höchste Zahl seit 1956, dem Jahr des Ungarnaufstands. Viele fordern jetzt eine restriktivere Asylpolitik. Wie verträgt sich das mit Humanität und christlicher Nächstenliebe?

Kugler: Hilfe vor Ort ist eine Form der Solidarität! Der Schutz der eigenen Grenzen vor illegaler Einwanderung ist eine Form der Solidarität mit dem eigenen Land. Asyl ist ein Nachbarrecht. Deshalb halten wir am Prinzip des „ersten sicheren Landes“ fest. Asyl ist kein Recht, sich ein Land auszusuchen: Wer das Asylrecht für Arbeitsmigration missbraucht, riskiert langfristig seine Zerstörung. Auch illegale Migrationswege bergen große Gefahren: Gewalt, Menschenhandel, Vergewaltigungen, Bootsunglücke auf hoher See. Eine restriktive Asylpolitik schützt auch jene, die sich sonst auf den Weg machen würden.


Setzt die ÖVP in der Asylfrage nur auf europäische Lösungen?  Dänemark und Ungarn haben es geschafft, die Asylanträge auf nationaler Ebene massiv zu reduzieren, werden dafür aber auch stark kritisiert. Die deutsche Bundesregierung wiederum setzt auf strengere Regeln an der österreichischen Grenze. ÖVP-Innenminister Karner kämpft, so heißt es, um den Missbrauch des Asylsystems in Österreich zu stoppen, ohne dabei aber rechtliche Fehler zu machen.

Kugler: Die Haltung Österreichs und der Volkspartei hat in ganz Europa zu einem Umdenken geführt. Wir können vieles nur gemeinsam lösen. Gleichzeitig tut Innenminister Gerhard Karner alles, was national im Rahmen der Gesetze und internationalen Verpflichtungen möglich ist. Die Zahl der Asylanträge ist in Österreich bereits deutlich zurückgegangen.

Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer will auf keinen Fall mit FPÖ-Chef Herbert Kickl koalieren, auch wenn die FPÖ am 29. September die erste Partei sein wird. Gibt es inhaltliche Schnittmengen zwischen ÖVP und FPÖ?

Kugler:  Es gibt mit jeder Partei unterschiedliche Schnittmengen. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre schließt die ÖVP für sich eine Koalition mit FPÖ-Chef Herbert Kickl aus. Man traut ihm nicht zu, das Land verantwortungsvoll zu regieren und befürchtet, dass er staatliche Institutionen missbrauchen könnte. Probleme aufzuzeigen ist das eine. Politik lebt aber davon, dass praktikable, rechtskonforme und menschenwürdige Lösungen vorgeschlagen werden – das sehen wir bei Herbert Kickl nicht. Seine Ablehnung des Raketenabwehrschildes „Sky Shield“ beweist, dass ihm die Sicherheit Österreichs in Wahrheit egal ist. Nicht nachvollziehbar ist für mich die Ablehnung der FPÖ von Mitteln für unsere Auslandskatastrophenhilfe – etwa für das verheerende Erdbeben in der Türkei 2023. Ich habe vor kurzem die Menschen in Gaziantep besucht und gesehen, wie sehr sie sich um den Wiederaufbau bemühen und wie wichtig die internationale Hilfe ist.

Können Sie sich andererseits eine Koalition mit der Babler-SPÖ vorstellen? Der jetzige SPÖ-Chef vertritt in zentralen Fragen eine gegensätzliche Linie zur ÖVP: Noch mehr Steuern, noch mehr Sozialstaat, eine liberale Asylpolitik?

Kugler: In Zeiten der Großen Koalition wurde in diesem Land viel erreicht. Für den Wirtschaftsstandort Österreich wäre Andreas Bablers linker Kurs eine Katastrophe. Unternehmen sind das Herz unserer Wirtschaft und Garant für Arbeitsplätze. Aber bei allen Koalitionsspekulationen ist klar: Jetzt muss gearbeitet werden, dann hat der Wähler das Wort und erst dann wird über mögliche Koalitionen gesprochen.

In Europa herrscht Krieg, wichtige Industrien wandern ab, die Preise sind massiv gestiegen, die Baby-Boomer gehen in Rente, während zu wenig junge Arbeitskräfte nachkommen. Stecken wir in einer Krise?

Kugler: Ja, die Herausforderungen sind groß. Ich bin seit kurzem Sonderbeauftragte für den demographischen Wandel in der OSZE-Region. Europas Anteil am Weltmarkt geht zurück. Doch anstatt die großen Fragen wie Demografie, fortschreitende Deindustrialisierung, die Herausforderungen der künstlichen Intelligenz, unsere Unabhängigkeit und Sicherheit in einer sich verändernden Welt anzugehen, diskutieren wir über Transgender-Toiletten und erklären Kindergartenkindern, dass sie ihr Geschlecht frei wählen können. Auf die großen Fragen unserer Zeit brauchen wir starke Antworten.

Sie kandidieren bei den Nationalratswahlen?

Kugler: Ich kandidiere als Spitzenkandidatin in Wien Nord, also in Floridsdorf und in der Donaustadt, dem 21. und 22. Bezirk. Außerdem kandidiere ich in ganz Wien auf Platz 5 der Landesliste und freue mich über Vorzugsstimmen, denn es wird für mich extrem knapp. Rund 1000 Stimmen entscheiden darüber, ob ich wiedergewählt werde und meine politische Arbeit fortsetzen kann oder nicht.

Zur Person

Dr. Gudrun Kugler ist Nationalratsabgeordnete der ÖVP und Sprecherin ihrer Partei für Menschenrechte und Heimatvertriebene. In der Parlamentarischen Versammlung der OSZE ist sie Vizepräsidentin der Versammlung und Sonderbeauftragte für demographischen Wandel. Im österreichischen Parlament ist sie Vorsitzende der parlamentarischen Freundschaftsgruppe mit Serbien.

Kugler absolvierte ein Magisterstudium der Theologie am Internationalen Theologischen Institut Trumau sowie ein Magisterstudium der Rechtswissenschaften und ein Doktoratsstudium des Völkerrechts an der Johannes Kepler Universität Linz.

Vor ihrer Wahl in das österreichische Parlament war Kugler Abgeordnete zum Wiener Landtag, wo sie sich mit Menschenrechten, Europafragen und der Integration von Flüchtlingen und Migranten befasste.

Neue Heimat Zeitung-Yeni Vatan Gazetesi, Wien, 17.09.2024, Birol Kilic, Stefan Beig

Fonds Soziales Wien

Relevante Artikel

Back to top button